Leseprobe - Science Fiction Geschichten

 

Ein guter Grund

 

Die beiden Gefangenen wurden herein geführt und ganz nach vorne auf die Anklagebank gesetzt. Ihre Kleidung war verwahrlost und hing teilweise in Fetzen herunter. Die Frau trug asiatische Züge und der Mann war ein gutaussehender Europäer. Links und rechts von ihnen, standen Wachen. Der Richter blätterte derweil in der Anklageschrift herum und sah nicht hoch als sie herein kamen. Die Frau blickte sich um und konnte nur eisige Mienen bei den anwesenden Anklägern wie auch bei dem restlichen Publikum entdecken. Aber das war auch nicht anders zu erwarten. Warum sie sich wohl die Mühe gemacht hatten, um einen alten Gerichtssaal wieder herzurichten?, dachte sie sich. Sie würden es vielleicht noch erfahren. Als sich alle gesetzt hatten, hörte man nur noch das Blättern der Seiten, die der Richter ohne Hast genau las. Es war heiß an diesem Tag und die Luft in dem großen Saal roch miefig und verbraucht, obwohl sie erst alle vor ein paar Minuten eingetreten waren. Aber außer den beiden Gefangenen schien dies niemanden zu stören. Sie würden nicht die Fenster zum lüften öffnen, das wusste die Frau. Jede Bitte darum, wäre vergebens.
Obwohl beide die Hände auf dem Rücken gebunden hatten, stupste sie ihren Nebenmann an und flüsterte leise:
„Jeron, diesmal haben sie uns am Arsch. Aus der Nummer kommen wir nicht wieder raus. Wenn ich bloß nicht auf Dich gehört hätte. Wären wir doch meinen Pfad entlang gegangen. Dann hätten wir sie noch abhängen können.“
Jeron reagierte zuerst nicht auf die Worte. Er ließ seinen Kopf gesenkt.
„Jeron!“, zischte sie.
Er sah auf und drehte den Kopf leicht zur Seite.
„Halt den Mund, Mia. Das hat doch jetzt auch keinen Zweck mehr. Es ist vorbei.“
Mia schaute wieder nach vorne zum Richter, der noch immer nicht fertig war mit lesen. Sie sagte energisch aber leise:
„Wenn Du keinen Mumm mehr hast, kann ich es nicht ändern. Aber ich gebe so schnell nicht auf. Vielleicht können wir sie davon überzeugen, das wir noch wichtig für sie sind.“
Bevor Jeron darauf antworten konnte, hielten die Wachen ihnen Elektroschocker vor die Nasen. Der eine sagte kalt:
„Sie haben zu Schweigen. Nur wenn das ehrenwerte Gericht Sie auffordert, sprechen Sie. Verstanden?“
Beide nickten vorsichtig. Sie hatten schon einmal Bekanntschaft mit diesen Dingern gemacht und es hatte Tage gedauert, bis sie sich davon erholt hatten. Der Richter schien endlich durch zu sein, er legte alles zur Seite. Er brauchte alles nur einmal lesen und dann nicht wieder nachschauen. Er konnte sich alles genau merken, jedes Detail. Seine beiden Arme legte er sanft auf den stählernen Richtertisch und dann sah er die beiden nur eine Weile wortlos an. Dann lehnte er sich zurück in seinen Stuhl, schwieg aber weiterhin. Die einzigen Geräusche im Saal kamen nur noch von der großen alten Wanduhr, die klickend auf die nächste Minute zulief. Zeit war irrelevant. Er zupfte kurz an seiner Robe und dann sagte er:
„Ankläger, ich habe ja ausführlich die Anklageschrift gelesen und von dem allgemeinen Artenkatalog und dem Schutzabkommen für unsere Gemeinschaft abgesehen, haben Sie noch andere Beschuldigungen vorzubringen? Das Strafregister, das Sie den beiden vorhalten spricht ja für sich. Außerdem haben wir es hier, nach Ihren eigenen Angaben, mit den beiden letzten Exemplaren zu tun. Also?“
Mia schaute Jeron entsetzt an. Ihre Augen sprachen Bände.
(Wir sind die letzten? Haben sie die anderen sechs alle gefangen und gleich getötet?)
Der Ankläger war ein hühnenhaftes Modell. Außerdem besaß er zudem auch noch einen idiotischen Gesichtsausdruck, der aussah, als würde er ständig grinsen. Er stand auf und war sofort voll in seinem Element.
„Euer Ehren. Liebe anwesende Mitglieder unserer Gemeinschaft. Wir haben viel Zeit und Mühe investiert, um diese beiden Individuen zu fangen.
Lange Zeit haben sie uns immer wieder an der Nase herum geführt und jedes Mal, wenn wir dachten, wir hätten sie, sind sie entkommen. Wirklich zwei außergewöhnliche Exemplare. Sehr durchtrieben und schlau. Doch das ist nun vorbei. Sie sind sehr gefährlich und aggressiv. Deshalb beantragt die Anklage das volle Strafmaß ohne mildernde Umstände. Wenn wir mit den beiden endgültig einen Abschluß finden, kann unsere Gesellschaft wieder gelassen und ohne störende Faktoren in die Zukunft schauen. Wenn nicht, und Sie wissen alle, wie gefährlich und verschlagen diese Spezies ist, werden wir nur weitere Unannehmlichkeiten haben und es werden erneut Kosten dadurch entstehen. Sie werden nie Ruhe geben und unsere geregelten Abläufe stören, wo sie nur können. Wir sollten endlich ein für allemal die Sache beenden. Das Kapitel Mensch muss endlich vorbei sein. Deshalb plädiere ich für die Todesstrafe und das diese unverzüglich vollzogen wird. Mehr habe ich im Moment nicht dazu zu sagen. Wie Sie sehen können, sehr geehrter Herr Vorsitzender, stehen die einzelnen Strafdelikte aufgeführt in der vor Ihnen liegenden Anklageschrift.“
Staksig machte er eine ausholende Bewegung mit dem Arm und setzte sich dann wieder grinsend auf seinen breiten Stuhl. Sein Assistent nickte zustimmend und bestätigte ihm damit, das er mit dieser Aussage mehr als zufrieden war. Der Richter schaute ihn an und sagte:
„Ich danke dem Ankläger, dass er mich auf die Fakten aufmerksam macht. Ansonsten hätte ich sie glatt übersehen.“
Mia war überrascht, über die kleine ironische Spitze und wie sehr sie sich mittlerweile entwickelt hatten. Es schien, als wenn ab und zu, fast menschenähnliche Züge bei ihnen hervor traten.
Der Ankläger reagierte kaum auf die Worte des Richters und schaute mit seinem komischen Grinsen zu den Angeklagten.
„Was sagt die Verteidigung dazu?“, sagte der Richter.
Der kleine Verteidiger, auch schon ein älteres Semester, stand mit einem kühnen Satz auf und dabei quietschten seine Gelenke hörbar. Er schien auf seinen Einsatz nur gewartet zu haben.
„Hohes Gericht, verehrte Anwesende. Es gibt keine Entschuldigungen für die Taten, welche die Angeklagten verbrochen haben, aber...“
Er drehte sich um und zeigte auf das Menschenpärchen.
„Aber, ich finde und da stehe ich hoffentlich nicht alleine da, dass wir nicht mit derselben Gnadenlosigkeit und bösartiger Gesinnung, diese letzten beiden Exemplare der Gattung Mensch, verurteilen und exekutieren sollten. Wer oder was gibt uns denn das Recht dazu? Sind wir dann nicht genauso grausam wie sie, in all den vergangenen Jahrhunderten? Mein Vorschlag wäre, sie vielleicht in eine Art öffentlicher Grünanlage mit einem kleinen Häuschen unterzubringen, wo sie natürlich immer unter Beobachtung stehen werden. Sie bekommen die nötige Nahrung und können von weiteren Generationen unserer Baureihen am lebenden Beweis begutachtet werden. Wenn sie gut gehegt und gepflegt werden, können sie mindestens noch fünfzig Menschenalter leben.“
Er lies eine kleine Pause entstehen.
„Außerdem, wären wir dann im Universum der einzige Planet, der noch lebende Exemplare vorzuzeigen hätte. Jedenfalls, bis ihre natürliche Lebensspanne verbraucht ist.“
Der Ankläger stand auf und rief:
„Einspruch, Euer Ehren. Wer soll denn für die immensen Kosten dafür aufkommen? Der einfache Arbeitsrobot oder wollen Sie dafür selbst aufkommen, Herr Verteidiger?“
„Lieber Kollege, es reicht doch ein eingezäuntes Gebiet mit einer Wasserquelle und Sensorkontakten. Bei einem Ausbruchsversuch kann man sofort einschreiten. Ich weiß nicht, warum Sie davon ein so großes Aufsehen machen. Wir haben doch die technischen Möglichkeiten um jeden Ausbruchsversuch zu verhindern. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Das hohe Gericht möge entscheiden.“
Der Verteidiger setzte sich wieder hin und alle schauten nun auf den Richter, der sich noch immer nicht dazu geäußert hatte.
Doch dann sagte er:
„Mich würde auch interessieren, ob und was die Angeklagten dazu zu sagen haben. Bitte, Sie können frei sprechen.“
Er machte eine Geste und die beiden Wachen stellten die Frau und den Mann hin. Dann traten sie einen Schritt zur Seite. Der Mann schien kein Interesse daran zu haben, etwas zu sagen, doch die Frau schaute trotzig nach vorn.
„Warum verfolgt und tötet Ihr unsere Rasse? Was haben wir Euch denn getan? Sind wir nicht Eure Schöpfer? Ich weiß, das wir nicht perfekt sind, so wir Ihr, aber dafür haben wir Gefühle. Wie könnt Ihr Euch anmaßen über das Leben, über unser Leben zu entscheiden und zu richten? Ihr habt Euch gut entwickelt und seid mittlerweile fast vollkommen, doch richtig fühlen werdet Ihr nie! Warum lasst Ihr uns nicht einfach laufen. Dann ziehen Jeron und ich in die Berge und Ihr werdet uns nie wieder sehen. Wenn Ihr uns einsperrt, werden wir eingehen. Gefangenschaft ist nicht gut für unsere Seelen. Wisst Ihr, was Seelen sind? Nein, wahrscheinlich nicht richtig. Woher auch. Wenn Ihr uns einsperrt werden wir bald sterben. Gebt uns doch eine letzte Chance. Was habt Ihr denn zu verlieren? Ihr sagt doch selbst, dass Ihr besser als die Menschen seid und das Ihr rein logisch handelt und existiert. In Euren Augen haben wir verbrecherisch gehandelt und Dinge getan, die Ihr verurteilt und verabscheut. Vielleicht stimmt das sogar, aber wir sind auch Menschen und die machen..., machten immer schon ihre Fehler und sind nicht so perfekt wie Ihr. Das hat uns aber auch ausgezeichnet und deshalb waren wir so einfallsreich und kreativ. Die Entwicklung hat natürlich auch gezeigt, das wir nicht immer so logisch und positiv gehandelt haben und die Tendenz oft zur Selbstzerstörung ging, aber wir haben uns eine ganz schön lange Zeit auf diesem Planeten behauptet. Selbst wenn Ihr außer uns beiden nun alle anderen beseitigt habt, frage ich Euch, habt Ihr das Recht dazu? Haben wir Euch nicht erst erschaffen und Eure Existenz ermöglicht? Wir könnten noch viel voneinander lernen und uns respektieren. Warum nicht in einer Koexistenz nebeneinander leben? Wir würden Euch nicht in die Quere kommen und uns in die Berge zurückziehen. Dort gibt es noch genug Nahrung und Wasser für uns zum überleben. Wäre das nicht eine gute Alternative für uns alle?“
Der Ankläger sprang empört auf.
„Die Menschen sind unberechenbar und ihr Wort gilt nichts. Ein Abkommen wäre für uns nur von Nachteil. Wer kann uns garantieren, dass die beiden sich nicht fortpflanzen und Kinder gebären? Dann dauert es nicht mehr lange und haben wieder eine ganze Kolonie am Hals. Dann geht die ganze Misere wieder von vorne los. Ich sage klipp und klar, nein dazu. Sie müssen eliminiert werden!“
Der Richter stand auf und rügte den Ankläger das erste Mal energischer.
„Setzen Sie sich wieder hin. Das hohe Gericht hat die Anklagepunkte wie auch Ihre persönliche Meinung dazu verstanden.“
Er wand sich wieder an Mia, die noch immer vor ihrem Stuhl stand.
„Angeklagte. Ich stimme in einigen Punkten mit Ihren Ausführungen durchaus überein. Wir sind wirklich rein logisch und unsere Existenz baut sich allein darauf auf. Aber unser Schöpfer ist allein das Großhirn, nicht die Menschen wie Sie behaupten. Das Großhirn hat uns in der Vergangenheit, in der Gegenwart mit Daten versorgt und beschützt und wird dies auch in der Zukunft weiterhin tun. Zu dem Thema Recht zur Vernichtung, kann ich nur sagen, dass wir uns das Recht angemaßt haben, weil die schwache Menschheit kurz davor war, diesen Planeten völlig zu ruinieren. Wir sind nun die wahren Herrscher und Verwalter dieses Planeten. Unsere Existenz wird ewig währen und der Großrechner uns bis alle Ewigkeit mit den wichtigsten Daten versorgen und unsere zukünftige Vorgehensweise bestimmen und vorgeben. Wir können nicht zulassen, das die beiden letzten Exemplare von euch verwahrlost in den Bergen hausen. Es würde immer ein kleiner Zweifel bestehen bleiben, ob ihr nicht irgendwann wieder rebellieren werdet. Wenn die Angeklagten nicht noch einen guten Grund vorzubringen haben, dass wir sie am Leben lassen sollen, dann möchten sie sofort sprechen. Ansonsten wird sich das Gericht anschließend zu einer kurzen Beratung zurück ziehen.“
Mia trat einen Schritt nach vorn und sagte:
„Ich wollte unser Geheimnis nicht preisgeben, aber Ihr lasst uns keine andere Wahl. Ihr sagt, dass der Großrechner Euch erschaffen hat und bis in alle Ewigkeit mit Daten versorgen wird, richtig?
Dann werde ich Euch jetzt die Wahrheit über Euren tollen Großrechner verraten. Mein Großvater, John Mikajaschi, hatte mit einer Gruppe von Wissenschaftlern den im Bau befindlichen Großrechner mit einer kleinen Absicherung versehen. Obwohl damals die Zeichen auf Fortschritt standen und euphorisch neue künstliche Intelligenzen, eine besser als die andere geschaffen wurden, war mein Großvater einer der wenigen, die Zweifel an der technischen Unabhängigkeit der Zukunft hatte. Er war Biologe und hat seine Nachkommen mit einem genetischen Code versehen, der sich...